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Rede zur Eröffnung in Passau am 4. November 2023

Erhard Grundl

Mitglied des Bundestags, Mitglied im Ausschuss für Kultur- & Medienpolitik

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
lieber Dirk Wildt,

ich freue mich sehr, heute bei hier zu sein und bedanke mich für die große Ehre, heute die Ausstellung „Grenzüberschreitungen“ von Dirk Wildt eröffnen zu dürfen.

Fotografie, das wage ich mal zu behaupten, war nie wichtiger als heute. Ich meine damit die Fotografie als authentisches Zeitzeugnis. Und zugleich wird sie durch die rasend schnelle Weiterentwicklung von KI von Vielen für „tot“ erklärt.

Der Papst im trendigen weißen Daunenmantel oder Donald Trump in weniger tendigem Gefängnis-Orange, wie er - wohl in einer Zelle sitzend - ein Buch liest: Spätesten da – beim Buch - ist klar: Das ist ein Fake. Erstellt mit Hilfe von künstlicher Intelligenz.
Und ab da ist Schluss mit lustig. Denn wir leben im Zeitalter der deep fakes und der Social Bots, die in sozialen Netzwerken das Verhalten menschliche Nutzer simulieren. Dabei sind die Trumps dieser Welt selten Opfer, sondern vielmehr Meister im Verbreiten gut gemachter Fakes und gezielt platzierter Desinformationen – je polarisierender, desto schneller verbreiten sie sich im Netz. Und das hat Einfluss auf die Meinungsbildung.
Zugleich stellt Reporter ohne Grenzen hierzulande vermehrte Übergriffe auf Journalist*innen fest. Damit hat Deutschland im ranking der für Presse sicheren Staaten weiter verloren hat. „Eine freie Presse ist immer in Gefahr – selbst in unserem Land“, schreibt Dirk Wildt treffend auf seiner Homepage. Wenn allerdings die Pressefreiheit hierzulande nur noch „zufriedenstellend“ ist, dann ist eine rote Linie erreicht. Dann sprechen wir über die Gefährdung von Vielfalt und Freiheit der Presse. Also über die Gefährdung der Voraussetzungen für unabhängige Meinungsbildungsprozesse als Grundlage einer informierten Wahlentscheidung. Und das ist schlicht demokratierelevant!

Was tun?
Nicht die Künstliche Intelligenz verteufeln. Sie ist ein Instrument, das von Nutzen ist: bei der Erforschung von Corona-Virusvarianten. Sie kann Kreativität freisetzen etwa beim Komponieren. Sie übernimmt kommunikative Routinetätigkeiten in der Verwaltung. Sie sorgt für eine effiziente Verbreitung von Informationen.
Allerdings sollten wir uns bewusst sein, dass KI ein Instrument ist, dessen Programmierung von Menschen gemacht ist. Und wer das ist, nach welchen Kriterien und Zielen die Programmierung erfolgte, wer die Plattformen betreibt, das müssen wir wissen. Und immer wieder prüfen, ob Missbrauch möglich ist.
Um etwa zu prüfen, ob das ein Foto von Dirk Wildt ist oder nur ein Nachbau, gibt es eine Reihe von Instrumenten, wie die Vorwärts- und Rückwärtsbildersuche um Urheberschaft oder Fakes zu erkennen, den DataViewer von Amnesty International bei Videos u.a.. Es gibt Netzpiloten oder Faktenfinder, etwa der Tagesschau u.a.. Dazu braucht es außerdem auf EU-Ebene eine Kennzeichnungspflicht bei Fotos und anderen Werken, die von KI erzeugt wurden. Das Urheberrecht muss gestärkt werden. Positiv bewerten Reporter ohne Grenzen den Digital Services Act der EU, der die großen Internetkonzerne in die Pflicht nimmt. In die richtige Richtung geht auch der Entwurf des European Media Freedom Act, der Europa vor Desinformation schützen soll.

Der größte Schutz vor Desinformation ist allerdings der Mensch selbst: sind Journalist*innen und Fotograf*innen, die ihre wichtige Arbeit im Dienste einer informierten Gesellschaft nach den Regeln des Pressekodex machen. Die dorthin Licht bringen, wo sonst Schatten und Unwissen herrschen. Denn es ist der wache Blick einer informierten Gesellschaft, die dem dumpfen Gären von Machtmissbrauch den Boden entzieht.
Umso wichtiger sind für uns Fotografen wie Dirk Wildt!
 
Grenzüberschreitungen: das ist ein Thema, das den Fotografen Wildt immer wieder beschäftigt.  Es geht um „Zivile[n] Ungehorsam im Blitzlicht“, wie die Passauer Neue Presse titelte. Wildt geht immer wieder da hin, wo Grenzgänge stattfinden. Etwa dann, wenn das staatliche Gewaltmonopol auf Demonstrationen gefordert ist, eine Balance zu finden zwischen Meinungsfreiheit und öffentlicher Ordnung. Wo der Rechtsstaat wütende Verbalattacken von der Straße aushalten müssen, wo er auf Provokationen mit staatlicher Verhältnismäßigkeit reagieren muss.
Ein Balanceakt, der nicht immer gelingt und der anspruchsvoll bleibt!

Das sehen wir heute bei pro-Hamas-Demonstrationen in Berlin und an anderen Orten, wo zwischen dem hohen Gut der Versammlungsfreiheit und dem Diskriminierungsverbot durch Volksverhetzung, Antisemitismus und Gewaltverherrlichungen entschieden werden muss. Es geht um einen Abwägungsprozess, der uns alle fordert und der von größter Bedeutung ist für die Akzeptanz der Demokratie.

Der Hamburger Dirk Wildt war von 1982 bis 1991 freischaffender Pressefotograf. Er fotografierte vor allem für die "taz, veröffentlichte im "Der Spiegel", "stern", "Tempo" und der "Zeit". Mit anderen Worten, er fotografiert immer mit der Nase im Wind.
Er berichtete über den Mauerfall und das Zusammenwachsen von Ost- und West-Berlin. War zeitweilig Sprecher der Berliner Senatorin für Finanzen, Dr. Annette Fugmann-Heesing (SPD). Bis 2002 arbeitete er als Finanzcontroller für die Tagesspiegel-Gruppe.
Der Hamburger wurde also Wahl-Berliner, und war irgendwie immer mittendrin. Und zwar mittendrin in der Zeit, als in Berlin die Mauer fiel. Als über Nacht die Grenze aufgemacht wurde. Als die Ostberliner in den Westen strömten, nur mit dem, was sie gerade in der Hand hatten.
Nicht wissend, was sie erwarten würde. Ob sie zurückkämen, ob sie gerade ihre Zukunft gefährdet. Oder ihr Leben - ob doch geschossen werden würde.
Sie gingen in eine ungewisse Zukunft und schufen Tatsachen. Und er, Dirk Wild, war mittendrin in der Weltgeschichte. Und war sich bewusst, dass er Zeuge war eines historischen Augenblicks. Er hielt ihn fest. Für uns, für die Jüngeren, für die Zukunft.
Seine Fotos sind voller Bewegung. Und trotzdem sind die vielen Menschen, die hier mitten im Vorwärtsdrängen festgehalten werden, nicht gesichtslos und konfus. Sie sind gezielt unterwegs, wie eine starke Strömung. Es geht eine ungeheure Kraft von diesen Bildern aus. Sie vergegenwärtigen nicht nur das faktisch Gewesene, sondern auch die Emotionen, die sie antrieb.
Das ist großartige Fotografie als unschätzbares Zeitzeugnis. Ein Schatz, aus dem wir heute Ausschnitt sehen können.

Der gebürtige Hamburger und Ex-Berliner ist inzwischen also Wahl-Niederbayer: Er hat sich also sozusagen nach Süden durchgearbeitet.

Und wenn ich mal davon ausgehen darf, bei der Vita, dass Dirk Wildt gerne da ist, wo die Musik spielt, dann kann ich nur sagen: Gut, dass wir Dich haben hier in Passau. Des brauch ma!

Und nun habe ich die große Ehre und Freude, die Ausstellung „Grenzüberschreitungen“ für eröffnet zu erklären.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!